Künstliche Intelligenz in der Medizin – eine Hilfe aber kein Ersatz
Teil 4 der Interview-Serie: Im Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Mücke
Künstliche Intelligenz in der Medizin – eine Hilfe aber kein Ersatz
In den letzten drei Ausgaben haben wir einiges über den Beitrag von künstlicher Intelligenz zum medizinischen Fortschritt erfahren und wie Patient*innen und Ärzteteams davon profitieren können. In dem letzten Teil der Interviewreihe erklärt Professor Mücke, was weitere Einsatzbereiche von künstlicher Intelligenz im medizinischen Alltag sind, woran aktuell geforscht wird und warum Ärzt*innen trotz Digitalisierung unersetzlich bleiben.
Wir haben bereits viel darüber gelernt, wie künstliche Intelligenz Patient*innen und Ärzt*innen unterstützen kann – gilt das für alle Bereiche der Medizin?
Künstliche Intelligenz, kurz KI, hilft uns dabei, Krankheiten schneller und genauer zu erkennen und zu behandeln. Diese smarten Computerprogramme sind darauf trainiert, Daten und Informationen zu verstehen und zu interpretieren, genau wie ein Arzt die Symptome eines Patienten beurteilt.
Stellen Sie sich vor, wir entwickeln ein neues Medikament. KI kann uns dabei unterstützen, schnell herauszufinden, welche Wirkstoffe am besten funktionieren könnten. Sie spürt Moleküle auf, die eine Krankheit effektiv bekämpfen können, und spart so wertvolle Zeit und Ressourcen in der Entwicklung und Therapiefindung. Auch bei der Diagnose von Krankheiten ist KI ein wahrer Gamechanger. Sie kann beispielsweise MRT- und Röntgenbilder blitzschnell und präzise analysieren und Anzeichen von Krankheiten erkennen, die für das menschliche Auge vielleicht unsichtbar bleiben würden. Bei Hautkrebs zum Beispiel kann KI Fotos von Hautveränderungen analysieren und einschätzen, ob ein Risiko für Hautkrebs besteht. Wenn es um die Behandlung geht, spielt KI ebenfalls eine entscheidende Rolle. Sie hilft Ärzten dabei, das perfekte Medikament und die richtige Dosis für jeden einzelnen Patienten zu finden. Das bedeutet, dass die Behandlungen zukünftig individueller und effektiver werden können, ganz auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten. Aber damit nicht genug! KI hilft uns auch, in die Zukunft zu schauen. Sie kann Risiken für Krankheiten berechnen und Ärzte und Patienten frühzeitig warnen, wenn gesundheitliche Probleme auftauchen könnten. So können wir vorbeugende Maßnahmen ergreifen, bevor die Krankheit überhaupt ausbricht. Eine neue Art der Prävention. Insgesamt ist von der Künstliche Intelligenz zukünftig viel zu erwarten. Sie wird uns helfen, Medikamente zu entwickeln, Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln, und gibt uns die Werkzeuge an die Hand, um gesünder zu leben und Krankheiten proaktiv zu vermeiden. Mit ihrer Hilfe wird die Medizin noch persönlicher, präziser und sogar vorausschauender.
Sie haben personalisierte Medizin erwähnt – wie funktioniert das?
Stellen Sie sich vor, jede Krankheit und jeder Körper ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Was für den einen funktioniert, funktioniert vielleicht nicht für den anderen. Das liegt daran, dass unsere Gene – die Bausteine, die uns zu dem machen, der wir sind – bei jeder Person unterschiedlich sind. Und hier kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel! Bei einigen Krankheiten können unterschiedliche Versionen unserer Gene auftreten. Wie ein Code, der entschlüsselt werden muss, bestimmt dieser genetische Mix, wie unser Körper auf verschiedene Medikamente reagiert. Einige Medikamente könnten Wunder wirken, während andere weniger effektiv sind. Künstliche Intelligenz ist wie ein Detektiv, der diesen Code knackt. Sie taucht tief in die persönlichen Daten eines Patienten ein, einschließlich der genetischen Informationen, und findet heraus, welches Medikament genau zu der Person passt. Das ist, als hätte jeder von uns seinen eigenen, persönlichen Apotheker, der ein maßgeschneidertes Medikament nur für uns mischt. Behandlungen, die nicht von der Stange sind, sondern speziell auf unsere einzigartige Biologie zugeschnitten sind. Die Zukunft der Medizin ist persönlich, präzise und voller Potenzial. Mit künstlicher Intelligenz werden wir nicht nur Krankheiten behandeln, sondern individuelle Lösungen finden, die für jeden von uns perfekt passen. Die Medizin von morgen wird nicht nur über „one size fits all“ hinausgehen, sondern uns Behandlungen bieten, die so einzigartig sind wie wir selbst.
Gibt es weitere Möglichkeiten, künstliche Intelligenz während der Therapie zu nutzen?
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der intelligente Maschinen Seite an Seite mit Ärzten arbeiten, um Patienten sicherer und effektiver zu behandeln. In diesem spannenden Zukunftsszenario sind wir bereits einen Schritt weiter. Forscher arbeiten fleißig daran, KI in den Operationssaal zu bringen. Diese cleveren Systeme haben das Potenzial, während der Operation in Echtzeit eine Fülle von Daten zu überwachen. Wie ein Wächter können sie sofort auf potenzielle Risiken hinweisen und damit die Sicherheit der Patienten deutlich erhöhen. Es ist, als hätte der Chirurg einen zusätzlichen Assistenten mit übermenschlichen Fähigkeiten, der jede Sekunde des Eingriffs überwacht und sicherstellt, dass alles nach Plan verläuft. KI könnte bald auch eine Schlüsselrolle in der Psychiatrie spielen. Hier kann sie als Unterstützer dienen, der Patienten rund um die Uhr überwacht und bei Bedarf Alarm schlägt. Wenn beispielsweise ein Patient Anzeichen von gefährlichem Verhalten zeigt, erkennt die KI dies sofort und warnt das medizinische Personal. Diese Entwicklungen zeigen, dass KI nicht nur unsere körperliche, sondern auch unsere geistige Gesundheit revolutionieren kann. Wir stehen am Rande einer neuen Ära der Medizin, in der Technologie und menschliche Expertise Hand in Hand arbeiten, um das Leben von Patienten zu verbessern.
Was sind die Herausforderungen beim Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Medizin?
Aktuell sind wir gerade dabei, ein Gleichgewicht zwischen technologischem Fortschritt und ethischen Standards zu finden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist der Schutz der persönlichen Daten.
Die EU arbeitet an neuen Datenschutzrichtlinien, um sicherzustellen, dass sensible Gesundheitsinformationen sicher und verantwortungsvoll behandelt werden, wenn KI in der Medizin zum Einsatz kommt. Denn auch wenn die Technologie das Potenzial hat, unsere Gesundheitsversorgung zu revolutionieren, muss sie zuerst gründlich geprüft und reguliert werden.
Eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur vollständigen Integration von KI in der Medizin ist der Zugang zu Daten. Um effektiv zu arbeiten, müssen KI-Systeme mit einer Vielzahl von Informationen gefüttert werden. Das ist vergleichbar mit einem Koch, der die besten Zutaten benötigt, um ein exquisites Gericht zuzubereiten. Aber bei seltenen Krankheiten und spezifischen medizinischen Fällen sind diese "Zutaten" leider oft knapp. Dann gibt es noch das heikle Thema Datenschutz. Gesundheitsdaten sind persönlich und sensibel, und es ist von größter Bedeutung, diese Informationen zu schützen. KI kann nur dann zum Einsatz kommen, wenn Patienten ihre Zustimmung geben, ihre Daten zu teilen. Das ist, als würden Sie jemandem das Rezept Ihres geheimen Familienkuchens anvertrauen – es erfordert Vertrauen! Transparenz ist ein weiterer kritischer Faktor. Wir alle haben das Recht zu wissen, was mit unseren Daten passiert und wie sie verwendet werden. Wie bei den Zutaten eines Rezepts wollen wir genau wissen, was hineinkommt und was am Ende dabei herauskommt. In dieser aufregenden Zeit des Wandels und der Entdeckung arbeiten wir hart daran, den besten Weg zu finden, um die Wunder der KI sicher und ethisch in die Medizin zu integrieren. Es ist ein Tanz zwischen der Kunst des Möglichen und der Notwendigkeit, die Privatsphäre und Sicherheit jedes Einzelnen zu wahren. Mit jedem Schritt, den wir machen, sind wir bestrebt, eine Zukunft zu schaffen, in der die Medizin noch persönlicher, präziser und effektiver wird, ohne dabei die Integrität unserer persönlichen Daten zu opfern.
Was wird aktuell im Bereich der künstlichen Intelligenz in der Medizin entwickelt?
Momentan wird in verschiedensten Bereichen der Medizin an der Entwicklung von künstlicher Intelligenz geforscht. Wir am Institut für Digitale Allgemeinmedizin in Aachen arbeiten gerade an der Digitalisierung einer Region im Raum Aachen, um dem Mangel an Hausärzt*innen entgegenzuwirken. Diese Gesundheitsregion entwickeln wir in Kooperation mit anderen Lehrstühlen und Instituten. Wir arbeiten unter anderem an einer komplett digitalisierten Praxis mit verschiedenen neuen Technologien. Es gibt zum Beispiel eine Technik, mit der schon im Wartezimmer die ersten Vitaldaten von den Patient*innen erfasst werden. So können beispielsweise Herzfrequenz und Körpertemperatur gemessen und direkt an den Arzt oder die Ärztin übermittelt werden, sodass die Informationen vorliegen, noch bevor der/die Patient*in im Behandlungszimmer ist. Diese Technik kann auch in der Notfallmedizin genutzt werden: Drohnen mit der entsprechenden künstlichen Intelligenz fliegen zum Unfallort, nehmen Daten auf und übermitteln diese an die Notärzt*innen, die noch auf dem Weg zum Unfallort sind.
Das hört sich sehr vielversprechend an. Werden Ihrer Meinung nach digitale Neuerungen allgemein in der Medizin angenommen?
In unserer Zeit wird das Internet immer mehr zu einem integralen Bestandteil unserer Gesundheitsreise. Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt beispielweise, dass ein erheblicher Teil der deutschen Internetnutzer, nämlich 74%, online auf die Suche nach alternativen Behandlungsmethoden geht. Weitere 68% suchen nach zusätzlichen medizinischen Informationen. In der Tat ist „Dr. Google“ oft die erste Anlaufstelle, die Menschen aufsuchen, wenn sie Fragen oder Bedenken hinsichtlich ihrer Gesundheit haben. Aber warum ist das so? Nun, die Online-Welt bietet einen Raum, in dem Menschen ihre Gesundheitsprobleme und -ängste ohne die unmittelbare Konfrontation eines persönlichen Gesprächs teilen können. Es ist wie ein sicherer Hafen, wo man über unangenehme oder beunruhigende Themen sprechen kann, ohne direktem Blickkontakt oder der potenziellen Verlegenheit, die ein persönliches Treffen mit sich bringen kann. Online-Sprechstunden treten immer mehr in den Vordergrund, weil sie eine bequeme und weniger einschüchternde Möglichkeit bieten, sich über sensible Gesundheitsthemen auszutauschen. Es ist, als hätte man einen direkten Draht zu einem Arzt, ohne das Haus verlassen zu müssen.
Die medizinische Welt erkennt dieses Bedürfnis und arbeitet beispielsweise auch an der Integration von Chat-Formaten für Arztgespräche. Die Zukunft der Medizin sieht eine Welt vor, in der der Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung so einfach ist wie das Senden einer Nachricht. Wo Patienten nicht nur informiert, sondern auch ermächtigt werden, ihre Gesundheit aktiv in die Hand zu nehmen, unterstützt durch die Leichtigkeit und Anonymität der digitalen Kommunikation.
Könnten digitale Anwendungen in Zukunft die Ärzt*innen ersetzen?
Nein, aber sie werden sicherlich dazu beitragen, eine Welt der Gesundheitsversorgung zu schaffen, die intelligenter, effizienter und für jeden Einzelnen von uns zugeschnittener ist. Es ist eine Partnerschaft, die das Beste aus beiden Welten verspricht – die Präzision der Technologie und die Wärme der menschlichen Berührung.