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Widerspruchsverfahren: Ihr Recht auf Prüfung

Das Einlegen eines Widerspruchs im Schwerbehindertenrecht ist ein wichtiger Schritt, wenn Sie mit einem Bescheid über den Grad der Behinderung (GdB) oder den Schwerbehindertenausweis nicht einverstanden sind. Er ermöglicht eine erneute Prüfung Ihres Antrags und die Vorlage zusätzlicher Informationen oder Gutachten. In dieser Übersicht erfahren Sie, wann und wie Sie einen Widerspruch einlegen, welche Fristen gelten und welche Schritte folgen.

Wenn Versicherte Sozialleistungen beantragen wie einen Schwerbehindertenausweis, GdB-Bescheid, Erwerbsminderungsrente oder Arbeitslosengeld kann es passieren, dass der Antrag der zuständigen Stelle (Versorgungsamt, Deutsche Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit etc.) nicht den Erwartungen oder tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. In solchen Fällen haben Versicherte das Recht, gemäß §§ 77 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) Widerspruch einzulegen.

Widerspruch einlegen:

  • Frist: Der Widerspruch muss grundsätzlich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids eingelegt werden. Der Bescheid gilt am dritten Tag nach Postaufgabe als bekannt gegeben (im Inland). Bei fehlender oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung beträgt die Frist ein Jahr. Wird die Frist versäumt, wird der Bescheid unanfechtbar. Bei nachweislicher Abwesenheit (z. B. Urlaub im Ausland) kann eine Wiedereinsetzung in das Verfahren beantragt werden.
  • Form: Der Widerspruch muss schriftlich oder zur Niederschrift (Protokoll) bei der Behörde eingereicht und unterschrieben werden. Zu beachten: Eine E-Mail oder ein einfacher Aktenvermerk reichen nicht aus.
  • Einreichungsort: Der Widerspruch muss bei der Behörde eingereicht werden, die den Bescheid erlassen hat.
  • Begründung: Eine Begründung ist nicht verpflichtend, aber empfehlenswert, um die Behörde auf mögliche Fehler aufmerksam zu machen. Gut zu wissen: Die Begründung kann auch nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist nachgereicht werden.

Wichtige Hinweise:

  • Die Widerspruchsentscheidung kann ungünstiger ausfallen als der ursprüngliche Bescheid.
  • Eine Klage beim Sozialgericht ist erst möglich, wenn der Widerspruch erfolglos bleibt.
  • Es besteht keine Anwaltspflicht.

Mustervorlagen: Von Fall zu Fall gut vorbereitet

Variante A : Akteneinsicht vor Widerspruchsbegründung

Wenn Sie einen Widerspruch einlegen, diesen aber noch nicht begründen möchten, sollten Sie zuerst Akteneinsicht beantragen. Warten Sie auf die Unterlagen des Sozialleistungsträgers, bevor Sie die Begründung formulieren. So wissen Sie genau, worauf das Amt seine Entscheidung stützt.

Um zu überprüfen, ob möglicherweise wichtige Befunde fehlen, vergessen oder nicht korrekt berücksichtigt wurden, empfiehlt es sich auch hier, den Hausarzt/die Hausärztin zu konsultieren. Überzeugen Sie ihn/sie gegebenenfalls, einen ärztlichen Widerspruch einzulegen. Besprechen Sie mit dem Hausarzt/der Hausärztin auch die Finanzierung dieses Widerspruchs sowie die Frist, bis wann er vorliegen muss.

Hier finden Sie eine Mustervorlage:

Absender

Adresse der Behörde

Aktenzeichen ....................., Bescheid vom .....................

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen Ihren Bescheid vom ..................... lege ich hiermit frist- und formgerecht Widerspruch ein. Eine Begründung wird ggfs. nachgereicht.

Um Ihren Ablehnungsbescheid sachlich überprüfen zu können, beantrage ich Akteneinsicht gem. § 25 SGB X. Ich möchte Sie daher bitten, mir alle ärztlichen Zeugnisse und Gutachten (inklusive der abschließenden Stellungnahme des versorgungsärztlichen Dienstes) in Kopie zuzusenden, auf die der Bescheid begründet ist.

Mit freundlichen Grüßen

Variante B: Ärztlicher Widerspruch

Wenn dem/der Versicherten die Argumente für den Widerspruch bewusst sind, sollte er/sie den Hausarzt/die Hausärztin davon überzeugen, einen ärztlichen Widerspruch einzureichen. Dies ist besonders ratsam, wenn das Versorgungsamt bestimmte Diagnosen oder die Schwere einer Erkrankung und deren Folgen unzureichend oder gar nicht berücksichtigt hat. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt/Ihrer Ärztin auch die Finanzierung des ärztlichen Widerspruchs und die Frist, bis wann dieser vorliegen muss.

Hier finden Sie eine Mustervorlage:

Absender

Adresse der Behörde

Aktenzeichen ................, Bescheid vom ................

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen Ihren Bescheid vom ..................... lege ich hiermit frist- und formgerecht Widerspruch ein und begründe diesen wie folgt:

Begründung

...

Mit freundlichen Grüßen

Variante C: Widerspruch einlegen und später begründen

Wenn Sie einen Widerspruch einlegen möchten, diesen aber erst nach einer anwaltlichen Beratung oder Konsultation mit Ihrem Hausarzt/Ihrer Hausärztin begründen wollen, müssen Sie den Widerspruch zunächst fristgerecht bei der zuständigen Behörde einreichen. Sie erhalten dann eine Eingangsbestätigung.

Nach der anwaltlichen Beratung und/oder ärztlichen Konsultation reichen Sie die Begründung Ihres Widerspruchs nach. Diese sollte sowohl deutsche als auch lateinische Fachbegriffe verwenden. Wichtig ist weniger die genaue Benennung der Diagnose als die detaillierte Beschreibung der nachteiligen Folgen Ihrer Erkrankungen im Alltag.

Beschreiben Sie ausführlich, wie die Erkrankungen Ihren persönlichen Lebensablauf beeinträchtigen. Ein „Beschwerdentagebuch" kann hilfreich sein, um lückenlos zu dokumentieren, wann und wie Ihre Beeinträchtigungen auftreten. Nennen Sie alle relevanten Beschwerden, von Depressionen bis hin zu Schwierigkeiten bei der Arbeit. Ihre Begründung sollte strukturiert, nachvollziehbar, verständlich und schlüssig sein. Falls möglich, untermauern Sie Ihre Argumente mit entsprechenden Gerichtsurteilen.

Hier finden Sie eine Mustervorlage:

Absender

Adresse der Behörde

Aktenzeichen ................., Bescheid vom ..................

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen Ihren Bescheid vom ..................... lege ich hiermit frist- und formgerecht Widerspruch ein.

Eine Begründung reiche ich nach erfolgter anwaltlicher Beratung / nach Konsultation mit meinem/meiner mich ständig behandelnden Arzt/Ärztin nach.

Mit freundlichen Grüßen

...

Verbündete im Verfahren: Ärztliche Unterstützung beim Widerspruch

Mit Ihrem fertiggestellten Widerspruchsschreiben (Kopien) sollten Sie Ihre behandelnden Ärzt*innen aufsuchen. Sprechen Sie offen mit ihnen über Ihr Anliegen und übergeben Sie einen vollständigen Satz Kopien des Widerspruchsschreibens. Dies hilft den Ärzt*innen, falls sie von der Behörde aufgefordert werden, ein erneutes Gutachten zu erstellen.

Ein umfassendes Gutachten ist von größter Bedeutung. Ihre ausführliche Schilderung erleichtert es dem Arzt/der Ärztin, Ihre persönliche Situation schriftlich darzustellen und sicherzustellen, dass keine wichtigen Informationen vergessen werden. Es sollten nicht nur Diagnosen aufgeführt, sondern auch das Ausmaß Ihrer Beeinträchtigungen beschrieben werden. Betrachten Sie Ihre Ärzt*innen im Widerspruchsverfahren als Verbündete und Helfer. Seien Sie lückenlos offen und erwähnen Sie alles, was hilfreich sein könnte. Regt der Arzt/die Ärztin neue Untersuchungen an, die Ihren Antrag unterstützen, sollten Sie dem nachgehen.

Nachdem Sie alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, senden Sie das Widerspruchsschreiben mit der Begründung fristgerecht an die zuständige Behörde, die in der Rechtsbehelfsbelehrung genannt ist. Nun bleibt nur noch zu hoffen, dass Ihr Widerspruch erfolgreich ist.

Klage vor dem Sozialgericht nach abgelehntem Widerspruch

Wird Ihr Widerspruch gegen einen Bescheid abgelehnt, bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, vor dem Sozialgericht Klage zu erheben. Sie können dabei den Sozialverband VdK, den Sozialverband Deutschland (SoVD) oder einen Fachanwalt für Sozialrecht hinzuziehen, auch wenn eine anwaltliche Vertretung vor dem Sozialgericht nicht zwingend erforderlich ist.

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Klagearten nach § 54 SGG:

  1. Anfechtungsklage: Ziel ist die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts, z.B. gegen die Aufhebung einer Leistungsbewilligung.
  2. Verpflichtungsklage: Hiermit wird die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts angestrebt, z.B. die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen. Gegenstand sind häufig Ermessensleistungen. Ein Unterfall der Verpflichtungsklage ist die Untätigkeitsklage (§ 88 SGG). Sie ist einerseits darauf gerichtet, den Versicherungsträger oder die Verwaltungsbehörde zum Tätigwerden zu verurteilen und/oder andererseits soll der/die Beklagte gezwungen werden, eine Verwaltungsentscheidung über den im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag zu erlassen.
  3. Leistungsklage: Diese wird genutzt, wenn der Versicherungsträger trotz Bewilligungsbescheid nicht leistet.
  4. Kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage: Häufigste Klageart, um die Aufhebung eines Ablehnungsbescheids und die Verurteilung des/der Beklagten zur Leistung zu erreichen.
  5. Feststellungsklage: Diese dient der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, der Zuständigkeit eines Versicherungsträgers oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts.

Verfahren und Zuständigkeiten

Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist kostenfrei; es fallen keine Gerichtsgebühren an. Nach Beendigung des Rechtsstreits entscheidet das Gericht, ob außergerichtliche Kosten (z.B. Porto-, Fahrt-, Anwalts-, (eigene) Gutachterkosten) erstattet werden oder nicht. Erkundigen Sie sich bei Ihrer Rechtsschutzversicherung, ob Verfahren vor Sozial- oder Verwaltungsgerichten abgedeckt sind. Mitglieder des VdK erhalten Unterstützung bei der Vertretung vor dem Sozialgericht.

Sie können die Klage selbst schriftlich einreichen oder mündlich zur Niederschrift bei der Geschäftsstelle des Gerichts geben. Die Klage muss binnen eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben werden. Das zuständige Sozialgericht wird in der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids angegeben.

Beispiel für eine Klageeinreichung

Zur Fristwahrung kann auch ein Schreiben an das zuständige Sozialgericht geschickt werden:

Gegen den Bescheid des Landesversorgungsamtes vom ............ – AZ/GZ: .................. erhebe ich hiermit Klage. Die schriftliche Begründung folgt.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift

Örtliche Zuständigkeit

Das zuständige Sozialgericht ist in der Regel das Gericht am Sitz oder Wohnsitz des Klägers/der Klägerin. Bei juristischen Personen oder Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt der Sitz des/der Beklagten. Das Gericht prüft seine Zuständigkeit von Amts wegen und verweist den Rechtsstreit bei Unzuständigkeit an das zuständige Gericht, falls ein entsprechender Antrag gestellt wird.

Anlauf des Gerichtsverfahrens

Nach Einreichung der Klage leitet das Sozialgericht ein Gerichtsverfahren ein. Das Gericht prüft die Rechtslage und die vorliegenden Gutachten und entscheidet, ob weitere Unterlagen oder ein weiteres neutrales ärztliches Gutachten erforderlich sind. In der Regel wird die Klage durch ein Urteil in einer mündlichen Verhandlung entschieden, die öffentlich ist. Sie können an der Verhandlung teilnehmen. Gegen das Urteil des Sozialgerichts kann Berufung beim zuständigen Landessozialgericht (LSG) eingelegt werden, wobei Anwaltszwang besteht. Das LSG entscheidet über Berufungen gegen Urteile und Beschwerden gegen andere Entscheidungen der Sozialgerichte seines Bezirks.

Scheuen Sie sich nicht, gegen einen ablehnenden Bescheid vor Gericht zu ziehen, um eine gerechte Behandlung zu erhalten. Bedenken Sie jedoch, dass der Ausgang nicht garantiert ist, und ziehen Sie diesen Schritt nur in Erwägung, wenn Ihre behandelnden Ärzt*innen oder Ihre Rechtsvertretung eine Erfolgsaussicht sehen.

MAT-DE-2404899(V1.0)-11/2024