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Grad der Behinderung: Ermittlung des Indikators

Die Ermittlung des Grades der Behinderung (GdB) ist ein wichtiger Prozess, um den Umfang einer Behinderung und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben zu bewerten. Der GdB bestimmt nicht nur den Zugang zu bestimmten Leistungen und Nachteilsausgleichen, sondern ist auch essentiell bei der beruflichen und gesellschaftlichen Integration. Erfahren Sie in diesem Artikel, wie der GdB festgestellt wird, welche medizinischen und rechtlichen Kriterien dabei eine Rolle spielen und welche Schritte für eine faire Bewertung relevant sind.

Die Ermittlung des GdB basiert auf den Maßstäben der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), die am 10. Dezember 2008 aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassen wurde. Die Tabellenwerte der VersMedV, die unter Versorgungsmedizinische Grundsätze und Gesetze im Internet einsehbar sind, basieren auf den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft.

Die Bildung des GdB erfolgt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in drei Schritten (BSG, 30.09.2009, B 9 SB 4/08 R):

  1. Erster Schritt : Mithilfe der in der VersMedV enthaltenen GdB-Tabelle wird jeder Gesundheitsstörung ein Einzel-GdB zugeordnet. Die Angaben in der Tabelle dienen als Orientierungsrahmen, da die Ermittlung des GdB immer individuell und vom Einzelfall abhängig ist.
  2. Zweiter Schritt: Jede Gesundheitsstörung wird einem der vierzehn in der VersMedV gelisteten Funktionsbereiche zugeordnet, darunter Gehirn (inkl. Psyche), Augen, Ohren, Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut (inkl. blutbildende Gewebe und Immunsystem), innere Sekretion und Stoffwechsel, Arme, Beine und Rumpf. Für jeden Funktionsbereich wird ein GdB gebildet. Liegen mehrere Gesundheitsstörungen in einem Funktionsbereich vor, werden diese zusammengefasst.
  3. Dritter Schritt: Oft liegt mehr als eine Gesundheitsstörung vor. Die Frage ist dann, wie die einzelnen Behinderungen in ihrer Gesamtheit zu bewerten sind. Die Ausgangslage zeigt § 152 Abs. 3 SGB IX auf: „Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.“

Gesamtauswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen

Die Ermittlung des Gesamt-GdB basiert auf den Gesamtauswirkungen aller vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen. Einzel-GdB-Werte dienen als Messgrößen für die verschiedenen gesundheitlichen Einschränkungen, die zusammen auftreten, und haben keine eigenständige Bedeutung. Laut Rechtsprechung gehen diese Einzel-GdB-Werte vollständig in die Gesamtbeurteilung des GdB ein.

Die Einzel-GdB sind zwar zu dokumentieren, dürfen jedoch nicht einfach addiert werden. Stattdessen müssen bei der Gesamtwürdigung alle sozialmedizinischen Erfahrungen berücksichtigt und Vergleiche mit den in der Tabelle angegebenen festen GdB-Werten angestellt werden.

Der Ausgangspunkt bei der Bildung des Gesamt-GdB ist die Funktionsstörung mit dem höchsten Einzel-Wert. Anschließend wird geprüft, inwieweit die anderen Funktionsbeeinträchtigungen das Gesamtausmaß der Behinderung erhöhen, ohne die Einzel-Werte zu addieren.

Teil A Nr. 3 c) der Anlage zu § 2 VersMedV.

Beispiel: Es werden zwei Funktionsbeeinträchtigungen jeweils mit einem Einzel-GdB von 40 ermittelt. Wird durch die zweite Einschränkung das Gesamtausmaß der Behinderung größer?

Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 rechtfertigen, verstärken die Gesamtbeeinträchtigung in der Regel nicht, selbst wenn mehrere solcher leichten Störungen vorliegen. Es ist durchaus möglich, dass eine Person viele Einzel-GdB von 10 hat, die aber alle bei der Bildung des Gesamt-GdB außer Acht bleiben. Auch Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 20 führen vielfach nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB, es sei denn, die Beeinträchtigungen wirken sich negativ aufeinander aus (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, 26.04.2016, L 13 SB 228/14).

Gesamtbewertung der Einzelbehinderungen

Um den Gesamt-GdB zu bestimmen, wird eine Gesamtbetrachtung aller Einzelbehinderungen durchgeführt. Entscheidend ist, wie sich die einzelnen Einschränkungen zueinander und untereinander verhalten, wobei drei mögliche Szenarien berücksichtigt werden:

1. Verstärken: Die einzelnen Behinderungen verstärken sich, d. h., die Funktionsbeeinträchtigung im gleichen Funktionsbereich wirkt sich auf eine andere besonders nachteilig aus. Dieses erhöht den GdB.
 

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  • Beispiel 1: Eine Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule und der Kniegelenke beeinflussen sich negativ, da die notwendige Kompensation der Rückenprobleme durch die Knie nicht möglich ist.
  • Beispiel 2: Eine Sehminderung und eine Gehörminderung wirken sich gegenseitig besonders nachteilig aus.

2. Überschneiden: Die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen überschneiden sich und betreffen den gleichen Funktionsbereich, was den GdB nicht erhöht.

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  • Beispiel 1: Eine Lähmung der Wadenmuskulatur und eine Versteifung des Fußgelenks am selben Bein (Einzel-GdB jeweils 30) beeinflussen sich nicht zusätzlich. Der Gesamt-GdB beträgt 30.
  • Beispiel 2: Eine ausgeprägte Hüftarthrose und eine leichte Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule ändern das Ausmaß der Behinderung im gleichen Bereich nicht merklich.
  • Beispiel 3: Bei Herz- und Lungenerkrankungen: wenn eine der Erkrankungen bereits so stark ausgeprägt ist, dass die andere sich nicht zusätzlich auswirkt.

Bei einer teilweisen Überschneidung können überschneidende Funktionsbehinderungen in geringem Umfang Berücksichtigung finden.

3. Unabhängig: Die Funktionsbeeinträchtigungen sind voneinander unabhängig und betreffen verschiedene Funktionsbereiche des täglichen Lebens. Der/die gutachterliche Arzt/Ärztin prüft, ob eine Erhöhung des GdB erforderlich ist. In die Bewertung fließt ein, ob es sich um schwache oder starke Einzelwerte handelt. Bei einem starken Wert ist von einer Erhöhung des Gesamt-GdB auszugehen.

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  • Beispiel 1: Eine Hörminderung, die die Kommunikation betrifft, zusammen mit Bewegungsstörungen, können zu einer Erhöhung des Gesamt-GdBs führen
  • Beispiel 2: Bei einem Diabetes mellitus und einer Hörminderung sind unterschiedliche Funktionen (Stoffwechsel und Kommunikation) betroffen. In diesem Fall wird die Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB angemessen erhöht. Ausgehend von zwei Einzel-GdB von jeweils 30, könnte der Gesamt-GdB auf 40 oder 50 festgelegt werden. Besonders im Streitfall ist hier eine fundierte Argumentation erforderlich.
  • Beispiel 3: Bei einem Lendenwirbelsäulenschaden müssen sich Betroffene rückenschonend verhalten und z. B. beim Heben von Gegenständen „in die Knie“ gehen. Sind gleichzeitig deutliche Kniegelenksschäden nachgewiesen, ist diese Art der Kompensation nicht möglich. Bei zwei Einzel-GdB von 30 kann ein Gesamt-GdB von 50 festgestellt werden.

Insgesamt ist die Bewertung der einzelnen Funktionseinschränkungen komplex, und die Bildung des Gesamt-GdB hängt immer vom Einzelfall ab. Das Versorgungsamt hält die Gesamtbewertung in einer gutachtlichen Stellungnahme fest, in der die Beeinträchtigungen und der Gesamt-GdB dokumentiert werden. Eine Überprüfung durch Fachkundige ist stets empfehlenswert.

Antrag auf GbB: Wirksamkeit und Überprüfung

Im Allgemeinen wird der Bescheid mit dem Datum der Antragstellung wirksam, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind und kein Einspruch erhoben wird. Seit 2018 kann der GdB auch rückwirkend festgelegt werden, wenn es dafür einen besonderen Grund gibt, beispielsweise für die rückwirkende Gewährung von Nachteilsausgleichen wie Kündigungsschutz, Steuervorteile oder Ermäßigung des Rundfunkbeitrags (§ 152 Abs. 1 SGB IX).

Behinderte oder schwerbehinderte Menschen können jederzeit einen Antrag auf Überprüfung des GdB beim Versorgungsamt stellen. Es ist jedoch zu beachten, dass ein bereits wirksamer Bescheid aufgehoben werden kann, wenn die Voraussetzungen für den GdB nicht mehr gegeben sind. Es gibt keinen Bestandsschutz.

MAT-DE-2404899(V1.0)-11/2024