Zusammenfassung

Fehlen bei Gelenkkontrakturen die Entzündungszeichen und ist mindestens ein weiteres Symptom einer MPS I vorhanden, sollte auf MPS I getestet werden (Cimaz 2009).

Gelenksteifigkeit und Gelenkkontrakturen bei Mukopolysaccharidose Typ 1 (MPS I) sind häufig der erste Grund, warum besorgte Eltern oder Patienten einen Arzt konsultieren. Auf dieser Seite erfahren Sie mehr zu Gelenkmanifestationen, deren Häufigkeit und Ursache bei MPS I und erhalten Praxistipps zur Diagnosestellung.

Fotos zu Gelenksteifigkeit und Gelenkkontrakturen bei MPS 1

Bildquellen: A, C: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH; B: Mit freundlicher Genehmigung von V. Munoz

Klinische Zeichen und Häufigkeit einer Gelenkbeteiligung bei MPS I

Gelenkbeteiligung – ein frühes Symptom der attenuierten Verlaufsformen von MPS I

Alle Gelenke können bei einer MPS I betroffen sein. Charakteristisch für eine MPS I ist eine im Krankheitsverlauf zunehmende Gelenkbeteiligung, die schließlich zu einer destruktiven Gelenkerkrankung führen kann (Clarke 2011). 

Zusammen mit Nabel- und Leistenhernien gehören Gelenkkontrakturen bzw. Anzeichen einer Gelenkbeteiligung zu den ersten Symptomen einer MPS I-Erkrankung mit mildem Verlauf. Im Vergleich zu anderen Symptomen (wie z. B. Hornhauttrübung oder Herzprobleme) treten sie schon sehr früh auf und zeigen sich bei Patienten mit attenuierter Verlaufsform bereits im medianen Alter von 4 Jahren. Patienten mit Morbus Hurler entwickeln eine Gelenksymptomatik im Alter von etwa 1,6 Jahren – in Relation zu anderen häufigen Symptomen bei Morbus Hurler also erst relativ spät im Krankheitsverlauf (Abb. 1) (Beck 2014).

Schulter- und Fingerendgelenke häufig zuerst betroffen

Eine Gelenkbeteiligung bei MPS I zeigt sich häufig zuerst an den Schulter- und Fingerendgelenken, wobei auch Ellbogen-, Knie- und Hüftgelenke betroffen sein können (Clarke 2011). 

Betroffene Patienten zeigen bei einer Schulterbeteiligung eine zunehmend eingeschränkte Mobilität des Schultergelenks und können z. B. die Arme nicht über den Kopf strecken (Hands-Up-Praxistest) oder einfache Über-Kopf-Arbeiten verrichten. Sind die Fingerendgelenke betroffen, so ist das Greifen oder gar die Feinmotorik zunehmend erschwert, was häufig den Verdacht auf das Vorliegen rheumatischer Erkrankungen lenkt (Cimaz 2009, Clarke 2011) (Bilder A-C).

Juvenile idiopathische Arthritis, rheumatoide Arthritis oder doch MPS I?

Gerade bei attenuierten Verlaufsformen kommt es aufgrund einer sehr ähnlichen Symptomatik zu einer Verwechslung mit der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) oder der rheumatoiden Arthritis (RA) (Bruni 2016). Dabei gibt es einige Parameter, anhand derer die JIA- und RA-bedingten Gelenkkontrakturen von denen der MPS I unterschieden werden können.

Eine JIA- oder RA-bedingte Gelenkbeteiligung geht einher mit typischen Entzündungszeichen (Gelenke, Blutbild) und Morgensteifigkeit. Weiterhin sind hauptsächlich die proximalen Fingergelenke und das Fingergrundgelenk betroffen. Bei einer MPS I hingegen fehlen die typischen Entzündungszeichen, es sind vorwiegend die distalen Fingergelenke betroffen und die Hand deformiert sich zu einer sogenannten „Krallen- oder Klauenhand“ (Abb. 2) (Cimaz 2009). Die Schwellung der Gelenke beruht bei einer MPS nicht auf entzündlichen Synovialergüssen, sondern auf einer knöchernen Vergrößerung der Gelenke. Ein weiterer Hinweis auf MPS I kann ein fehlendes bzw. ungenügendes Ansprechen der Gelenkbeschwerden auf nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) oder andere entzündungshemmende Therapien sein (Aldenhoven 2009, Morishita 2011).

Eine detaillierte Übersicht zur Differenzialdiagnose der JIA (Rheumafaktor-negative Polyarthritis) im Vergleich zu MPS I finden Sie hier.

    Glykosaminoglykane (GAG) kommen vor allem in den Zellen der Knochen, im Knorpel und im Bindegewebe vor. Besonders in den Gelenken resultiert die Akkumulation der GAG daher in pathologischen Veränderungen der Gelenkknorpel, des umliegenden Bindegewebes, der Bänder und Sehnen sowie der knöchernen Strukturen, die letztendlich in einer eingeschränkten Beweglichkeit der Gelenke und in Gelenkkontrakturen resultiert (Clarke 2011, Hampe 2020, Oussoren 2011). So haben gesunde Sehnen beispielsweise einen geringen GAG- und hohen Kollagenanteil – die zunehmende Ansammlung von GAG führt dann zur Funktionseinschränkung (Oussoren 2011) und somit zu einer Verschlechterung der Lebensqualität der Patienten (Clarke 2011).

    Diagnostisches Vorgehen bei Gelenkkontrakturen

    Um die Diagnosestellung in der Praxis zu vereinfachen, haben Experten Diagnosealgorithmen erstellt, die im Laufe der Zeit weiterentwickelt wurden. Der Diagnosealgorithmus nach Cimaz et al. (publiziert 2009) beschreibt das diagnostische Vorgehen bei Gelenkkontrakturen und unterscheidet verschiedene mögliche Differentialdiagnosen. Dieser Algorithmus wurde 2011 von Lehmann et al. den wissenschaftlichen Erkenntnissen bzgl. der Diagnostik angepasst und 2019 von Minden vereinfacht, um die MPS-Erkrankung in den Vordergrund zu rücken.  Eine Kombination dieser Algorithmen finden Sie adaptiert als Diagnoseempfehlung (mit Symptomcheckliste) in der Abb. 3 dargestellt. Sie soll Ihnen die Diagnose beim Vorliegen von Gelenkkontrakturen und fehlenden Entzündungszeichen erleichtern. 

    Aldenhoven M et al. Ann Rheum Dis 2009;68(11):1659-1665 

    Beck M et al. Genet Med 2014;16(10):759-765 

    Bruni S et al. Mol Genet Metab Rep 2016;8:67-73 

    Cimaz R et al. Pediatr Rheumatol Online J 2009;7:18 

    Clarke LA. Rheumatology (Oxford) 2011;50 Suppl 5:v13-18 

    Hampe CS et al. Cells 2020;9(8) 

    Morishita K et al. Rheumatology (Oxford) 2011;50 Suppl 5:v19-25 

    Oussoren E et al. Biochim Biophys Acta 2011;1812(11):1542-1556 

    Minden K. Arthritis und Rheuma 2019;39:438-439 

    Lehman TJA et al Rheumatology 2011;50 Suppl 5 v41-v48

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